Grundwissen Grammatik

 

Kleine deutsche Schulgrammatik zum Nachschlagen und Lernen

Die Geschichte von den Wortarten

Eines Tages hatte ich von den Wortarten die Nase voll: Laufend tummelten sich die verschiedensten Wortarten in meinem Zimmer, und ich konnte in das Chaos keine Ordnung bringen. Ich dachte mir: „Ich sollte mir vielleicht ein Schränkchen bauen, in das ich alle Wortarten wohl sortiert ablegen könnte.“
Aber wie viele Schubladen würde ich benötigen? Wie sollte ich das Schränkchen planen?

Zunächst nahm ich eine große Kiste und schaufelte alle herumliegenden Wortarten hinein. Jetzt war erst einmal Ruhe.

Dann baute ich mir ein Sieb, welches so konstruiert war, dass nur veränderbare, also flektierbare Wortarten durchfielen.

Dann leerte ich meine Wortartkiste in das Sieb und schüttelte ein wenig. Manche Wortarten blieben im Sieb hängen, andere fielen hindurch. „Prima!“, dachte ich, „nun ist alles klar!

Die flektierbaren Wortarten kommen auf die linke Seite meines Schränkchens, die unflektierbaren auf die rechte.
Mal sehen, wie viele Schubladen ich auf jeder Seite brauche. Wie könnte ich denn die flektierbaren Wörter alle unterscheiden?“

Wieder baute ich mir ein Sieb, diesmal sollte es alle Wörter überprüfen, ob sie auch als Satzglieder auftreten könnten.
Dann füllte ich alle vorher durchgefallenen Wörter, also die veränderbaren, ein.

Auch dieses Verfahren hatte Erfolg, es blieb nur eine Wortart übrig, und das waren die Artikel, die niemals Satzglieder sein können und meist in der Nähe von Substantiven / Nomen auftreten.

Da meldete sich aus dem Haufen der unflektierbaren Wörter, den ich beiseite gelegt hatte, eine deutlich vernehmbare Stimme: „So eine Ungerechtigkeit! Ich bin zwar unflektierbar, aber ich kann im Gegensatz zum Artikel sehr wohl ein Satzglied sein, und das ist doch sehr wichtig! Ich kann sogar allein die erste Satzgliedstelle besetzen!“ „Wer bist denn du?“, fragte ich verwundert, denn damit hatte ich nicht gerechnet. „Ich bin ein Adverb!“, hörte ich eine immer noch ungehaltene Stimme rufen.

Daraufhin schüttete ich den unflektierbaren Haufen in mein Sieb, und tatsächlich, bestimmte Wörter fielen durch, sie konnten also als Satzglieder auftreten! Das Adverb, welches sich vorher gemeldet hatte, war dabei!

Ich erkannte, dass meine einfache Links-Rechts-Einteilung des Schränkchens nicht genügte.

Da hatte ich eine Idee, auf die ich heute noch stolz bin: „Ich muss mein Schränkchen folgendermaßen konstruieren: Oben kommen nur die Wortarten hin, die keine Satzglieder sein können, unten diejenigen, die Satzglieder sein können. Nach links kommen die flektierbaren Wortarten und nach rechts die unflektierbaren.

Der Grundriss für mein Schränkchen sah also so aus:

kein Satzglied, flektierbar kein Satzglied, unflektierbar
Satzglied, flektierbar Satzglied, unflektierbar

Aber weitere Planung war notwendig: Ich wollte ja nicht nur vier Schubladen, sondern für jede Wortart eine! Zum Glück kamen mir die Wortarten selbst zu Hilfe.
Denn während ich meinen ersten Bauplan zeichnete, gab es Tumulte im Haufen der Wortarten, die im Sieb hängen geblieben waren, also bei denen, die weder Satzglieder noch flektierbar waren und für die ich gerade die rechte obere Ecke auf dem Plan ausgewählt hatte.

„Trenne uns bitte von den Konjunktionen!“, riefen da bestimmte Wörter. Ich wusste zunächst nicht warum, denn die im Sieb vorhandenen Wortarten sahen sich zum Teil sehr ähnlich, wenn sie auch im Moment in eine Rauferei verwickelt waren. „Wieso willst du denn weg aus dem Haufen?“, fragte ich das Wort „SEIT“, „du bist doch bei den Wörtern, die nicht flektierbar und kein Satzglied sind, und da prügelst du dich mit einem Wort, das auch ‚SEIT‘ heißt!“

„Das ist ja das Schlimme, wir werden immer verwechselt“, sagte die Präposition „SEIT“, „wir sind ja in gewisser Weise auch verwandt. Aber wir Präpositionen mögen die Konjunktionen überhaupt nicht! Das hat mehrere Gründe:
1. werden wir leicht verwechselt, und wer will schon verwechselt werden?
2. sind die Konjunktionen in unseren Augen rechte Faulpelze! Sie tun fast nichts im Satz! Sie sind faul!
Wir Präpositionen hingegen bestimmen im Satz mit, wenn wir auch keine Satzglieder sind. Immerhin legen wir fest, in welchem Kasus ein folgendes deklinierbares Wort erscheint.“

„Moment mal!“, hörte ich da die Konjunktionen sagen, „ausnahmsweise geben wir zwar der Präposition recht, wenn sie sagt, wir - die Konjunktionen - seien im Satz zu fast nichts gut, nur muss man das ganz anders sehen!
Wir sind diejenigen, mit denen man Satzteile verbinden  oder aber komplizierte Sätze bilden kann.
Richtig ist allerdings, dass wir uns um Satzglieder nicht kümmern müssen, wir sind frei von jeder Bindung, aber wir stellen die Verbindungen erst her und bestimmen sogar noch die Art einer Verbindung.
Erwachsene Menschen kommen ohne uns nicht aus, wenn sie sich genau ausdrücken wollen. Also befreie uns bitte von den knechtischen Präpositionen!“

Ich baute also wieder ein Sieb, durch welches alle Wörter durchfallen konnten, die den Kasus eines anderen Wortes bestimmen, und siehe da, das „und“ wurde von dem „vor“ getrennt und das eine „seit“ von dem anderen „seit“. Ich sagte gerade: „Gut, ich baue also zwei Schubladen für das rechte obere Schrankviertel, da erschrak ich vor einer gewaltigen Stimme, die sich wortreich erhob:

„Schweinerei! Majestätsbeleidigung! Unmöglich! Man hält sich mit Nebensächlichkeiten auf, und ich werde übergangen!“ Verwundert schaute ich zu dem Haufen der Wortarten, die flektierbar sind. Mit vor Zorn funkelnden Augen sah mich das Verb an und meinte: „Ich bin die Königin der Wortarten, und zwar, wenn du es immer noch nicht weißt, aus folgenden Gründen:
1. Kein Satz kann ohne mich existieren!
2. Ich habe den größten Formenreichtum: Was sind vier Fälle im Verhältnis zu sechs Personen?

[„Aua!“, meinte da das Substantiv, welches eben einen Fußtritt erhalten hatte.]
3. Ich lebe in Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft, in gewisser Weise also ewig!
4. Von mir hängt alles ab: Der Kasus von Satzgliedern

[„Autsch“, winselte da schüchtern die Präposition, die einen Ellenbogen zwischen die Rippen bekommen hatte.]
5. Ich bin als einzige Wortart konjugierbar, was man mir sicher nicht als Schwäche auslegen wird!“

„NA JA, NA JA“, meldete das wieder genesene Substantiv seine Bedenken an, „ICH GEBE ZU, DASS DAS VERB EINE GEWISSE BEDEUTUNG HAT, ABER DIE ERSTEN WÖRTER, DIE EIN KIND SAGT, GEHÖREN MEINER FAMILIE AN, DIE NICHT ZU UNRECHT AUCH DIE BEZEICHNUNG „HAUPTWORT“ TRÄGT.
AUßERDEM HAT UNSERE FAMILIE DIE FÄHIGKEIT UND OFFENHEIT, JEDES, ABER AUCH JEDES WORT IN UNSERE FAMILIE DURCH DEN AKT DER SUBSTANTIVIERUNG ODER NOMINALISIERUNG AUFZUNEHMEN.
DAS MACH UNS MAL EINER NACH! ÜBRIGENS: MANCHE NENNEN UNS AUCH NOMEN - NAMENWORT.“

„Ohne Rüpelhaftigkeit und ganz bescheiden möchten wir uns auch einmal und zwar gleich als Gruppe vorstellen“, tönte es da aus dem Haufen der deklinierbaren Wörter, die auch Satzgliedfunktion haben. „Wir sind die Pronomen, ohne die ein Gespräch sehr schwierig wäre. Unser hervorragendster Vertreter ist das Personalpronomen, sozusagen der Chef. Er ermöglicht sogar Liebeserklärungen. Ohne uns würde der gewiss wichtige Satz, ‚Ich liebe dich‘ folgendermaßen lauten: ‚Der gegenwärtig Sprechende liebt die angesprochene Person.‘ - Wie unromantisch und umständlich! Aus unserer Gruppe lassen auch noch grüßen: Das Possessiv-, das Reflexiv-, das Demonstrativ-, das Relativ- und das Fragepronomen.
Ganz ohne Feindschaft scheint es auch bei uns nicht abzugehen: Wir mögen keinen Artikel, wahrscheinlich, weil wir eng verwandt miteinander sind. Sie haben sich nämlich aus unserer Gruppe heraus entwickelt. Wo sie auftreten, müssen wir gehen, wo wir auftreten, haben sie zu verschwinden: An unserem Platz kann kein Artikel stehen!“

Ganz zum Schluss erhob sich aus dem Haufen der deklinierbaren Wortarten eine sanfte Stimme:

„Wir lieben eigentlich alle! Dem Verb und dem ganzen Satz stehen wir gegebenenfalls als Adverbiale zur Verfügung.
Das Substantiv begleiten wir als Beifügung, als Attribut, wir lassen uns durch Konjunktionen verbinden, wir stehen auch mit Artikeln und Pronomen auf gutem Fuß.
Selbst nebeneinander halten wir es aus, weder Präpositionen noch Adverbien fliehen vor uns.
Unser Wahlspruch lautet: ‚Mit Adjektiv, mit Adjektiv, da geht der Aufsatz niemals schief.
Der dümmste Schüler noch versteht, dass unsereins zu steigern geht.'“
[Oft, nicht immer! Anmerkung der Redaktion]

Nun wusste ich, wie ich mein Wortartenschränkchen bauen musste. Ich stellte es aber auf den Kopf, sodass die Verben und Substantive / Nomen oben zu liegen kamen, damit es nicht wieder Ärger geben würde.

Hans-Georg Haehnel, Pfaffenhofen 2001

Der Wortartendetektiv



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