 
  
  Grundwissen Grammatik
Adjektiv, Verbaladjektiv oder Verbform?
Partizipien gelten im Deutschen nicht als Wortart, sondern als infinite Formen des Verbs und zwar in zwei Erscheinungsformen, dem Partizip I - lobend - und dem Partizip II - gelobt.
	    Aber das reicht  für eine Wortartbestimmung in einem beliebigen Text nicht aus.      Als Beispiel wird vom Wort lehren ausgegangen. 
      Als Verbform gilt das Partizip II von lehren in
      Ich habe gelehrt - Perfekt
      Ich werde gelehrt - Präsens Passiv
      
      Ich bin gelehrt worden - Perfekt des Vorgangspassivs
      Ich bin gelehrt - Zustandspassiv
      
      Als Verbaladjektiv gilt das Partizip in
      der lehrende Professor - attributiv
      der Professor steht lehrend vor der Tafel - adverbial
      der gelehrte Professor - attributiv
      er sprach sehr gelehrt  - adverbial
	  
Als Adjektiv gilt die Partizipform in
	    Anna ist gelehrter als Eva. - gesteigert
	    Karin ist am 
	  gelehrtesten.  - gesteigert
	  Hans ist ungelehrt. - mit "un-" verneint
	  Hans ist  am ungelehrtesten. - mit "un-" verneint und gesteigert
Siehe weitere Beispiele in einem PDF
Gründe der verschiedenen Zuordnungen:
1) Partizipformen können auch wie Adjektive verwendet werden - dann heißen sie in der vorliegenden Übersicht "Verbaladjektive": lesender, singende, lobendes; gelesener, gesungene, gelobtes
      2) Aus manchen partizipialen Wortformen sind einfach Adjektive geworden. Sie können deshalb auch prädikativ verwendet werden: 
      Die Frau ist wütend / kränkelnd /  leidend. Das Ergebnis ist bewegend  / überzeugend / befriedigend / ausreichend [Adjektive]  ↔   [Verbaladjektive]: *Anna ist lesend, *Udo ist singend
3) Zu den Adjektiven sind auch sämtliche mit "un-" verneinten und / oder wie ein Adjektiv gesteigerten Partizip-Formen zu zählen:
	    4) Schließlich treten auch noch "Scheinpartizipien" auf, die man ebenfalls zu den Adjektiven rechnen muss.
	    Als Scheinpartizipien werden hier alle Wortformen bezeichnet, die aussehen wie ein Partizip I - Endung auf -end - oder Partizip II - Endung auf -en, -et und Vorsilbe ge- oder vergleichbares Verbpräfix, z. B. ver-, die sich aber nicht auf einen einfachen Infinitiv in gleicher Bedeutung zurückführen lassen. 
	   Diese Adjektive haben zwei Wurzeln: a) Heute ausgestorbene oder in der Bedeutung stark veränderte Verben: b) Es sind Adjektive, die von Substantiven abgeleitet werden: Diese Scheinpartizipien sind häufig auch steigerbar und / oder mit "un-" auch verneinbar. Aus diesen (b) Scheinpartizipien  können neue Verben entstehen. Zu manchen dieser Adjektive wurden  schon Verben gebildet, z. B. alkoholisieren, bemoosen, motorisieren, vgl. duden.de. Während der Duden "bebrillen" nicht führt, bietet er "bebrillt" als Adjektiv. Auch die Adjektive, die eindeutig von heute noch gebräuchlichen Verben herrühren, die aber mit "un-" statt mit "nicht" verneint werden und / oder  die gegebenenfalls auch gesteigert werden, könnte man  zu den Scheinpartizipien rechnen. Sie haben durch Negation beziehungsweise Steigerung ihren Verbcharakter weitgehend verloren und lassen sich nicht auf einen einfachen Satz reduzieren:  mehr zu Scheinpartizipien …
  
	  
        
      
        
          
          - Partizip- I-Bereich - häufig sogar steigerbare Adjektive: 
          spannend: der spannende Film, der Film ist spannend: *Der Film spannt.
          schlagend: der schlagende Beweis, der Beweis / das Argument ist schlagend: *Das Argument, der Beweis schlägt.
          bedeutend: der bedeutende Musiker, der Musiker ist bedeutend: *Der Musiker bedeutet.
          reizend: der reizende Junge, der Junge ist reizend: *Der Junge reizt.
          anwesend / 
          abwesend: die an- bzw. abwesende Direktorin, die Direktorin war an- bzw. abwesend: *Die Direktorin west an / ab.
          glänzend: die glänzenden Noten, die Noten sind glänzend: *Die Noten glänzen. 
          dringend: das dringende Problem, das Problem ist dringend: *Das Problem dringt. [DUDEN zum Verb „dringen“: durch etwas an eine       bestimmte Stelle gelangen; eindringen, vordringen; 
	          etwas [unnachgiebig] fordern; 
	          sich mit Worten heftig bemühen, auf jemanden einzuwirken  ]
          
        - Partizip-II-Bereich - häufig sogar steigerbare Adjektive: 
        begaben - früher: beschenken, zur Hochzeit ausstatten → begabt, unbegabt, begabter. *Ich begabe.
	      bekennen - heute: etwas zugeben, einräumen, früher: kennen, erkennen;  was gekannt wird, erkannt wurde, ist  → bekannt. *Ich bekenne [Andere Bedeutung in: Ich bekenne meine Sünden.]
	      aufdinsen - dieses starke Verb gibt es heute nicht mehr, früher: ausdehnen, mit etwas anfüllen → aufgedunsen. *Ich dinse auf.
        verhassen - dieses Verb gibt es nicht mehr, es bedeutete früher nichts anderes als hassen und hat sich nur als "verhasst" gehalten. *Ich verhasse.
        verwenden - im Mittelhochdeutschen rückumlautendes, schwaches Verb: rückgängig machen, abwenden, abwehren, umwenden, sich verwandeln, als Partizip: in Beziehung, in Verbindung stehend - heute: Sie sind mit ihm → verwandt, eine → verwandte Fragestellung. *Ich verwende. ↔ der verwendete Schraubenzieher
	      belieben - dieses Verb lässt sich von mittelhochdeutschen "lieben" ableiten, aber es gab nie einen Infinitiv mit der Bedeutung des Beliebtseins   → beliebt. *Ich beliebe [Andere Bedeutung in: Sie belieben zu scherzen.]
	      auserkoren - dieses Partizip geht auf das mittelhochdeutsche "ûʒ erkiesen" zurück, das in etwa "aus(er)wählen" bedeutet. → auserkoren. Das Verb "erkiesen" ist heute jedoch ausgestorben.
	      Zu dieser Gruppe kann man auch die umgangssprachlichen Scheinpartizipien bescheuert, bekloppt, beknackt, eingeschnappt ... zählen. Ihnen fehlt das 
        entsprechende Verb mit gleicher Bedeutung. * ich bescheuere / bekloppe /  beknacke /  *ich schappe ein.
	      Jemand, der Alkohol getrunken hat, ist alkoholisiert. 
	      Jemand, der eine Brille trägt, ist bebrillt. 
	      Ein Stein, auf dem das Moos wächst, 
	      ist bemoost.
	      Jemand, der ein Fahrzeug mit Motor besitzt, ist motorisiert. 
	      Ein Stoff, der ein Blumenmuster hat, ist geblümt.
	      Bekannte Redewendungen gelten als geflügelte Worte. 
	      Ein Stoff, der ein (rotes) Muster hat, ist (rot) gemustert.
	      Ein Hemd, das ein Streifenmuster hat, ist gestreift. 
        Affen, die ein Fell haben, gelten als behaart. 
	      
	    
	      -Steigerung:  
	      Partizip I: wütender, kränkelnder, leidender, bewegender, überzeugender, befriedigender, ausreichender, unterhaltender, anstrengender ...
	      Partizip II: angemessener,
	      erwünschter, berühmter, verblühter, verdorrter, verachteter ...
	      -Verneinung:
	      Partizip I: unbedeutend, unwissend, unbefriedigend, ungenügend ...
	      Partizip II: unangemessen, am unangemessensten, 
	      unaufgeregt(er),  unerwünscht(er), umstritten(er), unbestritten(er), unverblümt(er), unverwandt ...
Folgen für die Wortartbestimmung:
Grundsätzlich: Als infinite Verbformen gelten Partizip-II-Formen im Zusammenhang mit der Zeitenbildung des Verbs [Perfekt, Plusquamperfekt, Futur II: Sie hat das Rad geschoben, … hatte das Rad geschoben, … wird das Rad geschoben haben] bzw. unabhängig von der Zeitstufe im Zusammenhang mit dem Standardpassiv [Präsens, Imperfekt, Perfekt, Plusquamperfekt, Futur I und Futur II: Das Rad wird von ihr geschoben, … wurde von ihr geschoben, … ist von ihr geschoben worden, … war von ihr geschoben worden, … wird von ihr geschoben werden, … wird von ihr geschoben worden sein. ]A) Gegenwart - dem Aussehen nach Partizip I :
Alle Partizip-I-Formen gelten nicht als Verbformen, sondern als Verbaladjektive oder Adjektive
B) Vergangenheit - dem Aussehen nach Partizip II:
I) Als Adjektive gelten Partizip-II-Formen, wenn es sich
II) Als Verbaladjektive gelten Partizip-II-Formen bei
      III) Als Verbformen gelten Partizip-II-Formen neben ihrem Gebrauch beim  Perfekt,  beim Plusquamperfekt und beim Vorgangspassiv im Zusammenhang mit 
Dabei handelt es sich nicht um (Verbal)-Adjektive weil …
a) Sie auf eindeutig verbale Konstruktionen rückführbar sind:
- 1) Vorgangspassiv – Die Flasche ist geöffnet worden. Der Brief ist geschrieben worden.
- 2) Verben mit Sein-Perfekt: Satz im Präsens – Die Rose verblüht. Das Schiff sinkt.
- 3) Reflexive Verben: Satz im Präsens – Ich erkälte mich. Er verliebt sich.
b) Sie mit bestimmten temporalen Adverbialien erweiterbar sind:
- 1) Sätze im Zustandspassiv lassen sich in der Regel mit „schnell“ erweitern: Die Flasche ist schnell geöffnet. Der Brief ist schnell geschrieben.
- 2) Sein-Perfekt-Sätze lassen sich mit „gestern“ erweitern: Das Schiff ist gestern gesunken. Die Rosen sind gestern verblüht.
[Letztere Sätze zeigen eindeutig, dass es sich bei gesunken, verblüht, um Verbformen handelt, denn normalerweise lässt sich "ist" nicht mit "gestern" kombinieren: *Hugo ist gestern reich.